TAGUNG
DER GESELLSCHAFT FÜR SEXUALWISSENSCHAFT (GSW)
ZUM THEMA
„Psychosoziale Aspekte der Pädophilie“
AM 23.01.1999 in LEIPZIG
KURZBERICHT LEIPZIGER TAGUNG
Von den Vortragenden NICHT autorisierte Kurzfassung.
Zu Beginn der Tagung hält Prof. Dr. Kurt Starke, Leipzig, Vorsitzender der Gesellschaft für Sexualwissenschaft (GSW), eine kurze Einführungsrede. Er erinnert daran, dass Mitte der 80er Jahre eine Tagung zum Thema „Psychosoziale Aspekte der Homosexualität“ von der GSW ausgetragen wurde. Auch damals seien Betroffene zur Veranstaltung eingeladen worden. Dieser Tradition soll auch bei der diesjährigen Tagung „Psychosoziale Aspekte der Pädophilie“ gefolgt werden.
Als nächster Redner grenzt PD Dr. Kurt Seikowski, Leipzig, Fachpsychologe der Medizin, den Begriff der Pädophilie ab. Er unterscheidet dabei zwischen demjenigen, der im Kind nur ein Ersatzobjekt sieht und dem Pädophilen, für den das Kind der originäre Sexualpartner ist. Herr Seikowski äußert sich auch zu einer möglichen Entstehung der Pädophilie. Er äußert dabei, dass eine im Vordringen befindliche Auffassung davon ausgeht, dass Pädophilie eine primäre sexuelle Neigung ist.
Der Soziologe Dr. Rainer Hoffmann, Bremen, hält als nächstes einen Vortrag zum Thema pädophile Lebensweisen. Er hält sich dabei inhaltlich im Wesentlichen an seine Promotion „Die Lebenswelt der Pädophilen“, erschienen 1996 im Westdeutschen Verlag. Er bezieht sich dabei ausschließlich auf die homosexuelle Pädophilie. Hoffmann berichtet aus der soziologischen Sicht von der Art und Weise, wie der Pädophile den Jungen kennenlernt und wie die täglichen Kontakte ablaufen. Es wird insbesondere deutlich, dass der Rahmen, in dem die pädophile Beziehung abläuft, vom Jungen vorgegeben wird. Auch erklärt Hoffmann, dass die pädophile Beziehung bei Älterwerden des Jungen nicht von einem Tag zum anderen endet, sondern dass sich der Abschied auch langsam über einen längeren Zeitraum hinweg vollzieht.
Als nächstes äußert sich Dipl.-Soz.-Päd Christian Spoden zum Thema „Pädophilie und der Schaden am Kind“. In seinem Referat wird insbesondere deutlich, dass er die Schilderungen von Pädophilen, wonach es ihnen nicht nur um Befriedigung ihrer eigenen Sexualität geht, sondern die Wünsche des Kindes im Mittelpunkt stehen, für falsch hält. Ferner berichtet er von den einzelnen Schäden, die er an Kindern erlebt hat. Er nennt hierbei allgemeine Symptome wie Bettnässen, Einkoten oder Angstzustände. Spoden fordert die Sexualwissenschaft auf, sich mehr von pädophilen Äußerungen zu distanzieren und statt dessen die einzelnen Schäden beim Kind in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtung zu stellen. Auch empfiehlt er, die Kinder selbst bezüglich des Themas zu befragen.
Der Richter E. Drath, Landgericht Leipzig, äußert sich aus juristischer Sicht zum Thema. Er berichtet insbesondere von den Problemen der Schuldfähigkeitsbegutachtung und macht deutlich, dass die Justiz in diesem Zusammenhang dringend auf psychiatrische Gutachten angewiesen ist. Auch erklärt Drath, der Angeklagte profitiere im Prozess davon, wenn sein Verhalten – etwa ein Geständnis – dazu beitrage, dass das Kind nicht noch einmal vor Gericht angehört werden müsse. Auf der anderen Seite dürfe diese Privilegierung jedoch nicht dazu führen, dass auf diese Art und Weise falsche Geständnisse entstehen, allerdings sei die Anzahl von unschuldig Angeklagten beim sexuellen Missbrauch von Kindern gering.
Der forensische Psychiater H.-L. Kröber, Berlin, berichtet von den Erfahrungen mit seinen Klienten, die er im Rahmen von gerichtlichen Begutachtungen kennengelernt hat. Er macht deutlich, dass die Pädophilen eine homogene Masse seien, die sich durch ausgesprochen weitschweifendes Reden auszeichne. Die Pädophilen versuchten in missionarischer Art und Weise, dem Gutachter glaubhaft zu machen, dass die Realität, die sie wahr genommen haben, der Wahrheit entspricht. Kröber spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Belügen des Gutachters.
Anschließend äußert sich Prof. Dr. Gunther Schmidt, Hamburg, zum Thema der Tragik pädophiler Männer. Schmidt widerspricht Kröber dahingehend, dass Pädophile eine homogene Masse darstellten. Das Gegenteil sei vielmehr richtig: Es gebe die vielschichtigsten Persönlichkeiten. Schmidt erklärt ferner, dass die alte Sexualmoral einer neuen Moral gewichen ist, wonach all solche sexuellen Handlungen als erlaubt gelten, die zwischen gleichberechtigten Partnern verabredet sind. Da ein Kind nicht als gleichberechtigter Partner eines Erwachsenen angesehen werden könne – ihm fehlen die Erfahrungen und die Sachkenntnis, es könne nicht in etwas einwilligen, das ihm fremd sei – sei eine konsensuale und somit eine moralisch akzeptable Beziehung zwischen einem Kind und einem Erwachsenen nicht möglich. Eine Ausnahme könne nur für solche Fälle gelten, in denen das Kind vorab bereits Erfahrung mit Sexualität gehabt hat, davon sei im oberen Bereich der Schutzaltersgrenze in Einzelfällen auszugehen. – Schmidt besteht aber auch auf einer Trennung zwischen der moralischen und der traumatischen Bewertung. Jeder sexuelle Kontakt zwischen einem Erwachsenen und einem Kind – von den geschilderten Ausnahmen abgesehen – verletze zwar das Recht des Kindes auf sexuelle Selbstbestimmung, das aber bedeute noch nicht automatisch, dass das Kind im medizinischen Sinne ein Trauma erlitten hat.
Nachfolgend berichtet PD Dr. H.-H. Fröhlich, Berlin, über seine psychotherapeutische Arbeit. Im Rahmen seiner ambulanten Praxis hat er vierzehn Pädophile behandelt und berichtet über die Unterschiedlichkeiten in den Lebensverhältnissen und den Verhaltensweisen der einzelnen Personen.
Zuletzt berichten Vertreter pädophiler Selbsthilfegruppen.
Dieter M. , Berlin, berichtet von der Berliner Selbsthilfegruppe, die ausschließlich aus männlichen, homosexuellen Pädophilen besteht. Mazurek erklärt, dass der Pädophile das Kind nicht als Kind betrachtet, sondern als Junge. Mithin stehe das Kind in der pädophilen Beziehung außerhalb der typischen Erwachsenen-Kind-Beziehung mit den ihr immanenten Problemen, wie zum Beispiel Machtmissbrauch.
E.P.S. , Germering, berichtet von der Münchner Selbsthilfegruppe. Er berichtet sowohl über seinen persönlichen Hintergrund als auch über den Ablauf eines Abends bei der Münchner Gruppe. Abschließend erklärt er anhand einer Folie, dass man die traditionellen Begriffe wie Heterosexualität, Homosexualität oder Pädophilie in Frage stellen müsse. Kein Mensch könne sich absolut einer bestimmten Richtung zuordnen, vielmehr sei jeder für jede einzelne sexuelle Neigung in unterschiedlichem Grade empfänglich.
Nach einer kurzen Diskussion verabschiedet Kurt Starke als Leiter der GSW die Tagungsteilnehmer.